Christina Schmid
Konzeption und Gestaltung

Das Loch

Dieser Typ, der mir alle paar Jahre über den Weg radelt oder läuft oder plötzlich dasteht und guckt – als ob er mich immer mal wieder daran erinnern wollte, dass ich mich nicht erinnern kann. Als ob er wüsste, wer ich bin und wer ich nicht war, als ich ihn küsste und kurz darauf ging und einen Anderen mit nach Hause nahm. War das überhaupt er? Oder hatte ich mir den Kuss nur gedacht, als ich ihn bei einer anderen Party tanzen sah? Von dort kam ich nicht mehr nach Hause, es war zu spät. Ich fragte einen harmlos aussehenden Jungen, ob ich bei ihm schlafen könne. Ich wusste nichts über ihn, folgte ihm zu seiner Wohnung, bekam ein großes weißes T-Shirt und legte mich in sein Bett. Ich wachte früh auf und nahm den Bus, nur weg, nichts wie weg. Wer war ich? War ich überhaupt? Ich kannte hier niemanden und niemand kannte mich. Hinter mir war alles zusammengebrochen, alle wollten weg, also ging auch ich. Nur wohin? Und wie sollte es weitergehen? Ich war einsam, ohne Heimat, Liebe, Halt und so sehr auf der Suche. Dann fand ich das große Nichts. Das Vergessen. Ein Loch in meiner Erinnerung. Manchmal krabbelt dieser Typ dort heraus. Vielleicht will er mir sagen, wie es dort ist, in diesem Loch, in dem ich ihn einfach so habe stehenlassen, um kurz etwas zu holen. Wahrscheinlich hatte ich es sogar so gemeint. Oder jemand hat schräg geguckt und mich erkannt, ich wollte kein Gerede. Oder ich ahnte, dass er gerade dabei war, sich zu verlieben, mich zu verhexen und dann zu gehen. Vorher ging ich. Doch er geht nicht. Taucht ab und zu auf und guckt. Dieser schiefe Mund, immer in Bewegung, als wüsste seine Zunge nicht wohin mit sich. Nächstes Mal frage ich ihn, was damals war, ob was war, ob mein eigentliches Leben genau dort in diesem Loch weiterging, während ich hier draußen danach suche.